Als ich gegen 17:30 in Gandersheim ankam waren die Straßen gesperrt und überall Blaulicht, ganz viele Feuerwehrleute und Einsatzfahrzeuge waren vor Ort. Nachdem ich mich in dem Gewirr zurecht und den Einsatzleiter gefunden hatte, erfolgte eine kurze Vorstellung und dann sollte ich „gleich mal mitkommen“. Nein, erstmal möchte ich wissen, wo meine Bewohner sind. So ein Ausdruck! „Meine Bewohner“, aber da war mein Herz nicht mehr an seiner Stelle sondern im Ausnahmezustand.
Frau Schwarz, Bürgermeisterin und auch am Einsatzort zugegen, brachte mich in den Rathaussaal, wo die meisten der Bewohner Unterschlupf gefunden hatten. Draußen war es empfindlich kalt und nachdem zunächst der MäcGeiz nebenan die Möglichkeit gegeben hatte, sich im Warmen unterzustellen, dann aber schloss, konnten die Frierenden in den Rathaussaal und zwei, die die Rathaustreppe nicht steigen konnten, in die NordLB.
Dann kam ich dort an und da saß die Mannschaft. Bestens betreut von Feuerwehr und Rettungsdienst und von Stefanie Rieger, die an diesem Nachmittag im LebensRaum Dienst hatte. Alle waren geschockt, aber wohlauf und Stefanie Rieger trug sogar die gelbe Brandschutzhelfer-Weste. Es war mir fast unglaublich, dass sie wirklich auch noch daran gedacht hatte. Sie und Iris Hoppmann, eine Mitarbeitende aus der Hauswirtschaft, die vor Ort wohnt und von dem Brand erfahren hatte, liefen zwischen den Bewohnern hin und her und füllten eine Liste aus, die der Rettungsdienst benötigte.
Liebe und beruhigende Worte wurden gewechselt und zwischen alledem diese Weste! Nachdem Stefanie Rieger mir kurz erzählt hatte, was gerade vor sich ging und was getan wurde, setzte ich mich kurz zu den Bewohnern und empfand nur Dankbarkeit.
Dann ging es weiter in die NordLB, zu den zwei nicht mehr so beinigen Bewohnern und nachdem ich auch diese in bester Obhut des Rettungsdienstes fand, konnte ich mich beim Einsatzleiter melden. Also wieder raus und die Moritzstraße hoch zum Einsatzleitfahrzeug, oder wie auch immer das heißt, jedenfalls jenes mit der roten extra Rundumleuchte oben drauf. Dann lief alles sehr sortiert ab. Die Brand-/Tatortermittler aus Northeim trafen ein und nahmen zunächst das Geschehen zu Protokoll, befragten mich zum Haus und dem Bewohner und dann waren wir plötzlich auf dem Weg zum Brandort. Ich hatte keine Vorstellung von dem, was mich erwartete. Was es war: ein sehr stilles Haus, das wir durchquerten und der Aufstieg durch das Treppenhaus war auch tonlos, obwohl dort noch viele Leute im Einsatz waren. Nur der Geruch schrie einem „Feuer“ in die Nase. Im Flur der Hausgemeinschaft war es dunkel, Licht kam nur von der Notbeleuchtung und den Lampen der Feuerwehrleute. Später blitzte die Kamera der Ermittler für die Tatortphotos. Ansonsten wurde es, je weiter wir gingen, immer schwärzer und in dem Zimmer, in dem der Brand ausbrochen war, zeigte sich praktisch komplette Rabenschwärze. Stumpf, tonlos, schwarz – und überall war Wasser auf dem Boden. Die gesamte Hausgemeinschaft schwamm.
Im Kopf überschlug sich alles. Können die Bewohner zurück ins Haus? Wohin, wenn nicht? Welche Versicherung? Wie lange wird alles dauern? …
Nebenbei mussten Fragen beantwortet werden. Fragen, Fragen, Fragen…
Später fand ich mich wieder draußen am Leitfahrzeug und plötzlich fragte mich jemand, ob wir die Möglichkeit haben, die Bewohner selbständig weiter zu betreuen, weil jede weitere Stunde des Rettungsdienstes kostenpflichtig ist. Tja, sind wir das? Wer ist da? Stefanie Rieger, die Großartige, Iris Hoppmann, Birgit Breukel-Longheu, Thomas Augstein (Haustechniker) war inzwischen gekommen, Susanne Bertram und Marina Jansen (Hauswirtschaft) habe ich auch gesehen. „Ja“ war meine Antwort. Das schaffen wir. Okay, hieß es, dann können sie jetzt zurück in ihr Haus. Krass!!!
Los ging´s. Alle mobilisieren, überall Danke sagen und in Karawane zurück in den LebensRaum. Dann zog auch wieder Leben in die Bude. Zunächst verhalten und dann erleichtert und immer mehr. Die ersten sagten, dass Abendbrotzeit sei und der Hunger enorm wäre. Heißer Tee wäre auch gut. Damit war es klar: es geht weiter!
An verschiedensten Stellen wurde grob aufgeräumt, alle dazugekommenen Mitarbeitenden halfen, auch Bewohner fassten gut mit zu. Wasser wurde abgesaugt, Tee gekocht. Woanders verabschiedeten sich Feuerwehrleute und Polizei und wünschten alles Gute.
Irgendwann gingen die Helfer aus dem Haus in ihre Zuhause und verabschiedeten sich „Bis morgen…“
Kann so etwas wieder passieren?
Ja, kann es, weil man in keinen Menschen hineinsehen kann. Ob der nun in einem Heim, einer eigenen Wohnung oder unter einer Brücke lebt.
Dieser Mensch war kein bekannter Brandstifter, er ist psychisch krank und zu dem Zeitpunkt war er in einer psychischen Krise, einem Ausnahmezustand. Möglicherweise wollte er seinem Leben ein Ende setzen. Ich weiß es nicht. Dazu gibt es unterschiedliche Aussagen, von diversen Stellen. Ich denke nicht, dass wir es je definitiv wissen werden.
Unsere Bewohner sind psychisch kranke Erwachsene, die mit und in ihrem Leben kämpfen, wie jeder andere auch. Man kann ihre Gedanken nicht lesen, wie bei keinem anderen auch. Sie finden im LebensRaum einen Wohnort, ein Zuhause, eine Station in ihrem Leben. Das ist individuell verschieden. Sie finden Mitarbeitende, die sie begleiten und unterstützen. Die sie ermutigen, ihren Tag zu beginnen, ihre Familie anzurufen, sich Bekleidung zu kaufen und einen Sinn in ihrem Leben zu finden. Sie geben ihr Bestes und das ist neben Fachwissen und Sachverstand, menschliche Nähe. Auch nach zwei Wochen bin ich immer noch tief bewegt, wie gut und professionell unsere Mitarbeitenden im Zusammenspiel mit den Rettungskräften eine Katastrophe verhindert haben. Trotz dieser enormen Stresssituation haben alle grandios reagiert. Zum Glück wurde niemand ernsthaft verletzt.