[Göttingen/Northeim] – Nach 28 Jahren rechtlicher Betreuung werden die Betreuungsvereine in Göttingen und Northeim bis zum Sommer nächsten Jahres ihre Arbeit aufgeben. Die Verantwortung für die rund 350 Menschen wird zum 30. Juni 2023 auf andere Anbieter oder die Kommunen übergehen. Das berichtet das Albert-Schweitzer-Familienwerk e.V. in einer Pressemitteilung. Die Klientinnen und Klienten wurden zunächst mündlich und anschließend auch schriftlich informiert. Kontakte mit den Betreuungsstellen und den Amtsgerichten haben bereits stattgefunden.
Die anderen Arbeitsbereiche der Wegbegleiter – die Ambulanten Hilfen, die Tano, die Reha-Gruppen und der LebensRaum – bleiben von der Schließung unberührt und arbeiten im bewährten Stil weiter.
Die Ursache für die Entscheidung des Albert-Schweitzer-Familienwerk e. V. liegt nicht bei den Mitarbeitenden oder den Klienten und Klientinnen, sondern in der Entwicklung der finanziellen Rahmenbedingungen der rechtlichen Betreuung, die keine auskömmliche Finanzierung der Arbeit zulässt. Vorstand Martin Kupper: „Wir bedauern diese Entscheidung und wissen, dass wir den Klientinnen und Klienten damit viel zumuten und auch auf die Kommunen und Gerichte ein Mehr an Arbeit zukommt.“
Familienwerk kann keine öffentlichen Aufgaben finanzieren
Alle drei Betreuungsvereine sind seit Jahren defizitär, haben ihre Leistungs- und Qualitätsversprechen kritisch hinterfragt, waren von einer Vielzahl von Belastungen von Mitarbeitenden geprägt. Gerade die Vereinsbetreuerinnen und –betreuer brauchen eine langfristig verlässliche Perspektiventscheidung.
Die Form und die absehbare Höhe der kommunalen Unterstützung ist zu niedrig und nicht planbar. Es bleibt eine freiwillige Leistung, die erst mit Übergang zur Betreuungsstelle zur Pflichtleistung für die Kommune wird. Martin Kupper: „Man kann hier den Kommunen keinen Vorwurf machen. Alle Beteiligten haben intensiv an Lösungen gearbeitet. Das Problem liegt in der degressiven Vergütungslogik der gesetzlichen Grundlage (Anmerkung der Redaktion: hierfür ist der Bund zuständig). Der gemeinnützige Verein kann die dauerhafte Quersubventionierung von eigentlich öffentlichen Aufgaben nicht leisten. Und sie ist im Übrigen auch nicht gewollt“, unterstreicht der Vorstand. Für die Betreuten ist gesetzlich Sorge getragen. Ihre Betreuung muss über die Betreuungsbehörden sichergestellt werden.
Dauerhaft defizitäre Arbeit
Seit Übernahme der Betreuungsvereine durch das Albert-Schweitzer-Familienwerk im Jahr 1995 ist die prekäre Finanzierungsgrundlage gegeben. Alle gesetzlichen Neuerungen haben daran nichts verändert. Die zwischenzeitliche gesetzliche Erhöhung der Stundenvergütungen hat nur die Hälfte des Fehlbetrages ersetzt, die Masse der heutigen Betreuungen entfällt in der aktuellen gesetzlichen Finanzierungsgrundlage auf die niedrigste Vergütungsstufe. Parallel hierzu sind die Gehälter der Mitarbeitenden spürbar auf das Niveau des öffentlichen Dienstes erhöht worden.
Mit den Grundkosten eines tarifgebundenen Arbeitgebers mit guten Arbeitsplätzen, organisatorischem Rahmen, Qualitätsmanagement und die Einbindung in einen großen Träger ist das Familienwerk für die grundständige Finanzierungslogik zu teuer.
Danke an die Mitarbeitenden
Martin Kupper: „Besonders bitter ist die Entscheidung für die betroffenen Mitarbeitenden. Wir haben jahrelang gekämpft, um den Arbeitsdruck zu verringern. Nun würde er ohne verlässliche Bestandsperspektive so hoch bleiben, dass die gewünschte Qualität nicht dauerhaft zu leisten ist. Ausdrücklich danke ich den Vereinsbetreuerinnen und –betreuern, die unter den gegebenen Rahmenbedingungen bis an ihre Leistungsgrenze und manchmal auch darüber hinaus gegangenen sind. Für die Mitarbeitenden wird nach anderen Arbeitsplätzen im Familienwerk gesucht.“ In vielen Gesprächen und in einer Betriebsversammlung standen die Vorstände des Vereins Martin Kupper und Astrid Walter Rede und Antwort.
Gemeinsam mit den Behörden arbeitet das Albert-Schweitzer-Familienwerk daran, für die Betreuten eine geordnete Übergabe an ihre künftige rechtliche Betreuung zu gewährleisten.