Die Elternarbeit ist ein wichtiger Grundbaustein im Konzept Kinderdorf

Uslar – Elternarbeit ist vor allem eine Frage der Haltung, weiß Thekla Gudjons aus dem Albert-Schweitzer-Kinderdorf in Uslar. Sie ist als Bereichsleiterin für mehrere Kinderdorffamilien und Wohngruppen unterstützungsgebende Ansprechpartnerin, steht in ständigem Austausch mit den Jugendämtern und ist auch maßgeblich involviert, wenn es um Neuaufnahmen, Rückführungen oder Zielsetzungen in Verbindung mit einem Jugendhilfekind geht.

Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher im Kinderdorf ankommt, ist alles neu. Bis zu diesem Punkt haben die jungen Menschen bereits eine bewegte Vergangenheit hinter sich, in der es ihnen aus unterschiedlichsten Gründen zumeist an Struktur, Zuwendung und Unterstützung in ihrer Entwicklung gefehlt hat. Eine Kinderdorffamilie oder auch eine Wohngruppe können den Jugendhilfekindern Verlässlichkeit in all diesen Bereichen bieten und machen professionelle und liebevolle Hilfeangebote, um später den sicheren Weg in die Eigenständigkeit zu finden. Trotz aller Probleme und Nöte, trotz, dass es den jungen Menschen in ihrem vorherigen Zuhause an vielem grundlegendem fehlte, haben sie weiterhin Sehnsucht nach ihren leiblichen Eltern und lieben diese. Auch die Eltern dieser Kinder und Jugendlichen – das muss man verstehen – haben die Vernachlässigung an ihren Schützlingen nicht bewusst begangen. Oftmals sind sie mit ihrer eigenen Situation, ihrem eigenen Leben, überfordert und haben schwerwiegende Probleme, sich selbst zu organisieren und zu versorgen. Mit einem Schreckensbild, welches in der Gesellschaft oft leider vorherrscht räumt Thekla Gudjons auf: „Man stellt sich immer vor, dass das Jugendamt kommt und auf dramatische Weise die Kinder oder Jugendlichen in einer Notfallaktion aus dem ursprünglichen Zuhause reißt. In der Realität ist dies jedoch zum Glück ein selten gewordenes Bild.“ Zwar gäbe es auch immer diese Fälle, in denen tatsächlich „Not am Mann“ herrscht, beispielhaft seien diese aber nicht, versichert die Bereichsleiterin. Stattdessen geht es in der Kinder- und Jugendhilfe um Prozesse. Eltern wissen sehr wohl ob ihrer Schwächen, wenn sie mit der Kinderüberziehung aus den verschiedensten Gründen überfordert sind. Ein erster Schritt sind dann ambulante unterstützende Maßnahmen. Erst wenn diese zu keiner merklichen Verbesserung der familiären Situation beitragen, kommt die stationäre Jugendhilfe – wozu auch das Konzept des Kinderdorfs gehört – ins Spiel. In vielen Fällen sind es gar die Eltern, die die Entscheidung, diesen Schritt gemeinsam zu gehen, selbst und ganz bewusst treffen. Da ist es ganz selbstverständlich, dass die leiblichen Eltern auch nach der Aufnahme ihrer Kinder in das stationäre Kinder- und Jugendhilfesystem noch ein wichtiger Bezugspunkt bleiben. Denn grundsätzlich steht die Rückführung von Kindern und Jugendlichen zu ihren leiblichen Familien als primäres Ziel im Vordergrund der Maßnahmen. Es ergibt sich also aus vielfacher Sicht, dass die professionelle Arbeit, wie Entwicklungs- und Erziehungsarbeit, die neben der humanistischen und umsorgenden Komponente in einer Kinderdorffamilie oder einer stationären Wohngruppe geleistet wird, die leiblichen Eltern mit einbezieht. Doch auch der Gesetzgeber schützt leibliche Eltern und richtet ihnen per se per Gesetz das „Elternsein“ als hohes Gut ein.  Das Selbstverständnis im Umgang mit leiblichen Familien deckt sich hier also auch mit den Ansprüchen aus dem Sozialgesetzbuch.

Die Treffen mit leiblichen Eltern finden regelmäßig, in ihrer Häufigkeit aber an die jeweils individuelle Situation der Kinder und Jugendlichen angepasst statt. Im Umgang miteinander gilt wie für die Kinderdorfarbeit generell der systemische Ansatz. Das bedeutet, dass die leiblichen Eltern als wichtiger Teil des gesamten Systems rund um das Kind oder den Jugendlichen gesehen werden. Statt nur auf die Probleme des Kindes zu schauen, wird die gesamte familiäre Situation berücksichtigt. Die Eltern werden aktiv in den Hilfeprozess einbezogen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Der Fokus liegt darauf, wie alle Beteiligten, vom Kind oder Jugendlichen selber über die leiblichen Eltern, bis hin zu den beteiligten professionellen Fachkräften, zusammenwirken können, um positive Veränderungen zu erreichen und die Beziehungen zu stärken. Dabei sollen die Bindungen in der Familie gestärkt und das Beziehungssystem nachhaltig verbessert werden.